Home
Wir Neues
Termine Kritiken
Anschauen Anhören
Veranstalter Kontakt
Bestellen
Gerald Schmickl, "Wiener Zeitung", 22. 8. 2022
Das hohe Lied vom tiefen Schüttelreim
Das Wiener Trio Lepschi legt zu seinem 15-jährigen Jubiläum einen Prachtband mit
allen Liedtexten – und noch einigem mehr – vor.
Ums laute Lesen kommt man hier nicht herum. Ein – bisher übrigens unvertont
gebliebener – Text wie „Gay hair“ (Nr. 113 in vorliegender Sammlung) eröffnet
sich einem nur, wenn man ihn intoniert, sprich: sich selbst laut vorliest – und
man mehr noch des Wienerischen als des Englischen mächtig ist:
gay hair/ doo dah gay hair/ tour show gay hair tattoo/ dog guest hairblades
phee/ over dully
Was im Englischen tatsächlich so gar keinen Sinn ergibt, lässt einen Wiener mit
feinem Ohr freilich schrill auflachen. Unbedingt ausprobieren!
Aber auch die restlichen, insgesamt 114 Texte, die in dem Band „mea
ois wia ois“ versammelt sind, den sich das Trio Lepschi zum heurigen 15-jährigen
Jubiläum (das kürzlich mit einem fulminanten Abend mit Gästen im Wiener
Konzerthaus gefeiert wurde) selbst beschert hat, verlangen nach aktivem
Mitlesen, das heißt, man sollte die Lippen mitbewegen, erst dann entfaltet sich
das volle akustische Aroma an geistreich Gedichtetem & Gewitztem, das fast
durchgängig in Lautschrift verfasst ist. Da heißt es dann etwa: Es braut si wos
zsaum/ iwan Hödnplotz heit, die Heisa voi Fahnderl, die Stroßn voi Leit…“ (Nr.
111, „Es braut si wos zsaum“).
Das Buch, mit
zahlreichen Fotos pittoresk ausgestattet und mit zwei Codes versehen (zum
Download aller sechs Trio-Lepschi-CDs und eines Exklusivvideos einer 17-teiligen
„Gurkensymphonie“), ist in acht Kapitel unterteilt: zuerst alle sechs Alben mit
allen Texten, dann „Die neuen Lieder“ und „Die Restposten“ (bisher Unvertontes,
wie eingangs erwähntes „Gay hair“).
Wienerlied auf Portugiesisch
Eine Fundgrube der Sonderklasse. Denn stets war bei dem Trio, zu dem seit Beginn
Stefan Slupetzky (Gesang, singende Säge), Martin Zrost (Gesang, Gitarre,
Klarinette) und – nach 7 Jahren Tomas Slupetzky (Gesang, Gitarre) – seit nunmehr
2017 Michael Kunz (Gesang, Gitarre) gehören, der Text der Musik zumindest
ebenbürtig. Es sind durch die Bank – und großteils von Stefan Slupetzky verfasst
– kleine Sprachkunstwerke, die mit pointiertem Wortwitz und scharfer
Formulierungsgabe das Rückgrat der Lieder bilden, die sich in einem breiten
musikalischen Spektrum des Wienerischen bewegen – dieses sozusagen
internationalisieren.
So gibt es hinreißende französische, spanische oder portugiesisch-brasilianische
Wienerlieder, wie etwa „Bossa Lobao“ (Nr. 58), das mit folgenden Zeilen
einsetzt: „Ma schau,/ a so a scheene Frau/ is glegn in da Lobau, die Donauau so
lau,/ I kau/ nua schau, a oama Mau, wäu i mi nie wos trau...“ (Auch hier
empfiehlt sich lautes Lesen!)
Album Nummer drei, „Warz und Schweiß“ (2013), der Titel verrät es
schon, beinhaltet eine besonders kreative Art des Reimens, nämlich das
Schüttelreimen – und das durchgängig. 13 Nummern sind – man kann es in dem Buch
nachzählen und vor allem NACHLESEN – ausnahmslos in Schüttelreimen verfasst. Und
zwar so, dass daraus komplexe Geschichten entstehen, also Sinngebilde mit vielen
– mitunter erstaunlich vielen – Strophen, die etwa vom Leben in einem Sanatorium
erzählen oder vom nicht nur schweißtreibenden Aufenthalt in einer Sauna
(„Saunamassaker“). Da heißt es dann: „Am Anfang saßen sie mit blassen Nasen,/
die Füße suchten auf dem Boden Halt,/ Doch bald schon stöhnten sie mit nassen
Blasen,/ der Schweiß, er tropfte von den Hoden bald...“
Mentale Schüttel-Manie
Dass das Schüttel-Reimen zu einer Manie, ja zu einer Art mentaler Krankheit
werden kann, gibt Stefan Slupetzky unumwunden zu: „Man wird völlig
kommunikationsunfähig, denn ständig hängt man diesen Reimen nach, testet alles
auf Brauchbarkeit.“ Für das Lied „Fernsehkoch“, das in nasal französelndem
Tonfall vorgetragen wird, studierte der ehemalige Kinderbuchzeichner und Autor
zahlreicher Romane (u.a. der „Lemming“-Krimis) im Internet lange Zutatenlisten,
um buchstäblich ein gerüttelt Maß an reimlich Verwertbarem zu finden.
Herausgekommen sind dabei u.a. Kostbarkeiten wie „ein Hirschenkalb, zwei
Kirschen halb,/ ein Kalberlschwanz, zwei Schwalberl ganz“. Das Menü kulminiert
schließlich in dem kulinarischen Sinnspruch: „Merke: Ist das Fleischerl bockig,/
wird auch meist das Beischerl flockig!/ Darum gehört auch das Kalb gehackt,/ Gut
faschiert ist halb gekackt!“
„Die Manie des Schüttelreimens lässt den Reimenden fortwährend in die
Sumpflöcher des Unkorrekten und Obszönen stürzen“, gab Stefan Slupetzky dem
Autor damals zu Protokoll, als die „Schüttel-Platte“ herauskam. „Ohne eine
Chance auf Linderung müssen wir jedes Wort so lange schnetzeln und pürieren, bis
etwas Schlüpfriges, Brutales oder wenigstens Verschrobenes dabei herauskommt.“
„Geschnetzelt“ und
„püriert“ wurde von den drei Herren bevorzugt auf längeren Autofahrten, meist
zwischen Konzertauftritten. Dabei kam es zu regelrechten
Schüttel-Ping-Pong-Schlachten, erzählt Slupetzky: „Wenn wir uns einem Ort
genähert haben – und das Ortsschild auftauchte, kehrte im Wagen plötzlich Stille
ein. Man konnte dann aber förmlich hören, wie es in jedem Kopf klick-klack
machte und die Schüttel-Tauglichkeit des Ortsnamens geprüft wurde – bis der
Erste mit etwas herausplatzte.“
Absurd-aberwitziges Potpourri
Ortsnamen sind freilich – alle Lepschi-Fans wissen es – ein besonderes Kapitel
im Gesamtwerk des Trios. Bereits auf ihrer ersten CD, „Mit Links“ (2010 – heute
würde man den Titel vielleicht digital missverstehen…), fand sich das
Ortsnamenlied „Maid aus Wulkaprodersdorf“, in dem unzählige österreichische
Ortsnamen zu einem absurd-aberwitzigen Potpourri des amourös Anspielungsreichen
verknüpft werden („…In deinem OSLIP will ich nach der TSCHANIGRABEN, und meinen
GIEßHÜBL an deinem MOOSBRUNN LAABEN …“). Das Lied zählte über viele Jahre zum
Höhepunkt jedes Live-Auftritts (bei dem der Text zum Mitlesen ausgestellt &
umgeblättert wurde).
Auf dem Album „Oleanda“ (2018) steht wiederum der Identreim im Vordergrund, also
die mehrfache, in erster Linie lautmalerische Bedeutung von Worten und
Ausdrücken, wie der Titelsong (Nr. 63 im Buch) exemplarisch vorführt. Da erfährt
man etwa von „olle andern Oleandern“ oder warum dem „Seifenkraut vor der Seifen
graut“; und es wird u.a. ruchbar gemacht, warum die stinkenden Orchideen „a
Oasch Idee“ sind. So wie der munter sprießende Refrain überhaupt darauf
hinausläuft, sich von Zimmerpflanzen nicht länger pflanzen zu lassen: „. . .
Azaleen und Immergrün – schleichts eich, gehts in Goatn schpüün!“
Nicht nur geschüttelt, sondern regelrecht anagrammatisch durchgerüttelt wird das
Wort „Pikatilo“ im gleichnamigen, musikalisch in rasendem Galopp absolvierten
Lied (Nr. 66). In scheinbar fast allen Möglichkeiten in 1:45 Gesangsminuten
durchdekliniert (letztlich ist es dann doch nur die Hälfte aller
Kombinationsmöglichkeiten, rechnet Stefan Slupetzky vor), endet diese kuriose
Sprachhetzjagd fast fanfarisch auf einem unerwarteten Terminus, mit dem eine
nicht sonderlich beliebte Berufsgruppe bezeichnet wird – „… Politika“!
Was Slupetzky von
der reinen Natur hält, lässt er im bissigen „Natua“ (Nr. 64) wiederum mit Hang
zum Identreim wissen („Natua Natua – na tua ma des bittschee ned au . . . na,
tua mi ned häggaln in aana Tua…“), wofür alleine ihm schon der
H.C.-Artmann-Award verliehen gehörte, denn so wunderbar vielfältig und abgefeimt
listig dichtet hierzulande kein anderer seit dem großen unvergessenen
„Botanisiertrommler“.